Lesenlernen, wenn’s hakt oder anders lesen und lernen
Seit PISA wird Lesenlernen wieder ganz wichtig genommen. Es ist die große Aufgabe der ABC-Schützen. Aber nicht alle Kinder gehen mit dem Lesenlernen so um wie der kleine Jean Paul Sartre. Er erinnert sich in „Die Wörter“ an die Zeit, als ihm das Alphabet beigebracht wurde: „Ich war eifrig wie ein Kind beim Katechismus-Unterricht; ich ging so weit, mir Nachhilfestunden zu geben: ich kletterte auf mein Eisenbett mit dem Buch ‚Heimatlos’ von Hector Malot, das ich auswendig kannte; halb rezitierte ich, halb entzifferte ich, ich nahm mir eine Seite nach der anderen vor: als die letzte Seite umgeblättert war, konnte ich lesen.“
Manche Kinder können nicht einmal auf dem üblichen Weg in der Grundschule lesen lernen. Für blinde Kinder ist der gängige Grundschulunterricht gänzlich unmöglich. Für Legastheniker gerät er manchmal zur Tortur. Und im ganz schlimmen Falle wächst ein Analphabet heran.
Ein Kind, bei dem’s beim Lesenlernen hakt, wird in Deutschland bald auf die entsprechende Spezialschule gesteckt. Es gibt seit langem die Blindenschule für Blinde, und es gibt die Sonderschule für Behinderte. In Ansätzen, aber immer noch sehr unterschiedlich, gibt es eine Sonderbehandlung für Legastheniker und leider keine für junge Analphabeten ... denn die sind erst im Nachhinein als Ergebnis einer missglückten Schullaufbahn zu erkennen. Ob das Kästchendenken immer die richtige Lösung ist, darf bezweifelt werden und wird bezweifelt. Einige Lockerungen werden zaghaft zugelassen. Da besucht die Blinde ein ganz normales Gymnasium, und da sitzen Behinderte in der Montessori-Schule neben Gesunden. Das sind Ausnahmen; der Normalfall sieht anders aus.
Blinde lernen Braille-Schrift
Das blinde Kind – ihm wird eine besonders hohe Wertschätzung zuteil - erfährt meist eine Ausbildung in der Blindenschule. Das wird in der Eingangsstufe anders gar nicht gehen. Dort lernt es vor allem die Braille-Schrift, eine wunderbare Erfindung, die aus der Anordnung von jeweils tastbaren Sechserblocks mit vorhandenen oder fehlenden Erhebungen den Blinden die Lesewelt, die Rechenwelt und die Notenwelt erfahrbar macht. Die Braille-Schrift, benannt nach ihrem Erfinder, dem französischen Blindenlehrer Louis Braille (1809-1862), ist heute international eingeführt; im Jahr 2000 feierten Blinde auf der ganzen Welt ihren 175. Geburtstag.
Zum Schreiben dient die Blindenschriftbogenmaschine mit der Besonderheit, dass die Prägung von unten ins Papier gehämmert wird und der Blinde ertasten kann, was er eben schrieb.
Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts tauchte das Hörbuch auf. Im Brockhaus von 1953 steht: „Das Sprechende Buch und die Lesemaschine für Blinde sind zwei neue, in Entwicklung befindliche Geräte, die einmal zur Unterhaltung, zum anderen zur Verständigung und dem erleichterten Arbeitseinsatz des Blinden dienen sollen.“ Heute nennen wir diese Art, Lesestoff zuzubereiten, meist Hörbuch und seine Sparte breitet sich derzeit auch auf dem kommerziellen Büchermarkt aus. Selbst die Wochenzeitung DIE ZEIT hat das Hören entdeckt und bietet’s an unter http://hoeren.zeit.de.
Blindenhörbüchereien verleihen ihre Werke an Blinde und Sehbehinderte mal vor Ort, mal landes- oder bundes- und manchmal sogar weltweit. Bei der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig (DZB) z.B. werden die Kassetten aus einer Auswahl von über 7000 Titeln in den blauen Versandtaschen verschickt. Ausleihe und Versand sind kostenlos. Bei der Anmeldung muss ein Nachweis der Sehbehinderung erbracht, also die Kopie des Schwerbehindertenausweises oder ein ärztliches Attest vorgelegt werden. In Deutschland gibt es rund ein Dutzend öffentliche Hörbüchereien für Blinde und Sehbehinderte. Die DZB ist die älteste – gegründet 1894 als „Verein zur Beschaffung von Hochdruckschriften und Arbeitsmöglichkeiten für Blinde“ – und heute die einzige, die als Staatsbetrieb des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst voll finanziert wird. Hörbücher werden hier seit 1956 angeboten. Seit 2001 ist der Hörbuchkatalog auch im Internet zu finden (www.dzb.de/kataloge/) und man kann online bestellen.
Der Punktschriftbestand ist allerdings noch größer, denn vielen Blinden ist das Braille-Schrift-Lesen einfach angenehmer. Das gilt in besonderem Maße auch fürs Internet und den E-Mail-Verkehr. Zwar gibt es hier die Möglichkeit, Texte von einer Computerstimme lesen zu lassen, aber - so sagte es eine DZB-Mitarbeiterin sehr deutlich -, viel lieber sei ihr die Übertragung in ihr Braille-Schrift-Zusatzgerät, auf dem sie Texte lesen und eingeben kann.
Ein großer Fortschritt bei der Blindenhörbuchproduktion ist das Daisy-Format. Das Kürzel steht für Digital Accessible Information System und bezeichnet ein Format, bei dem bis zu 40 Stunden lange Werke auf eine einzige CD-ROM passen. Und diese CDs können mehr als die vordem üblichen Audiodisketten. Daisy macht’s möglich, dass sich Hörer problemlos von Kapitel zu Kapitel hangeln und nach Seitenzahlen und Überschriften suchen können. Elke Dittmer, die Geschäftsführerin der Norddeutschen Blindenhörbücherei, schwärmt da vom Quantensprung. Zur Zeit werden die Archive umgestellt, „schleppend“ wegen der „klammen Kassen“. Außer der staatlich finanzierten DLZ, die ihre Hausaufgaben erledigt habe, gebe es unter den Blindenbüchereien nur privatrechtliche Vereine, die auf Spenden und Zuschüsse angewiesen sind. Und allzu oft fehlten die.
Für Legastheniker gibt es viele Rezepte
Das Kind mit einer Leseschwäche tut sich im Erstleseunterricht in der Grundschule unglaublich schwer. Der Brockhaus von 1953 kannte seine Lernschwäche noch gar nicht; der von 1990 definiert: „Schwäche im Erlernen des Lesens und orthografischen Schreibens bei vergleichsweise durchschnittlicher oder sogar guter Allgemeinbegabung des Kindes; äußert sich vor allem in der Umstellung und Verwechslung einzelner Buchstaben oder ganzer Wortteile.“ Gründe werden recht unterschiedliche genannt: Hirnfunktionsstörungen führen Mediziner gern an, schulische Lernstörungen Psychologen und Pädagogen; körperliche Entwicklungsverzögerungen könnten ursächlich sein und auch mangelnde Lernmotivation oder Überforderung durch Eltern wird vermutet. Noch eine Sartre-Erinnerung; er war vom Großvater, der in dem Kind ein Wunderkind sah, im Lycée Montaigne in eine fortgeschrittene Klasse angemeldet worden und hatte dort ein Diktat geliefert, das den Großvater wütend machte: „Le lapen çovache ême le ten, hatte ich geschrieben, statt Le lapin sauvage aime le thym“. Die Mutter bekam einen Lachanfall, und Sartre wurde von dieser Schule wieder abgemeldet. Frisst der wilde Hase nun gerne Thymian, oder schmeckt er mit Thymian in der Pfanne besser?.
Den meisten Kindern, die scheitern, ergeht es natürlich ganz anders als dem kleinen Sartre. Vermutlich schon sehr lange, länger jedenfalls, als der Brockhaus Legasthenie kennt. Der Leseunterricht fand in Deutschland in den Anfängen nach der Buchstabiermethode statt, der auch Pestalozzi folgte. Der Begründer des Taubstummenunterrichts, Samuel Heinicke hielt 1778 dagegen, „diese Lehrart ist eine henkermäßige, ein Ungeheuer“, und Heinrich Stephani, geb. 1761, trat auf mit der „Lautiermethode“. Sie „sucht die Kinder zu der Fertigkeit zu führen, die durch Buchstaben bloß notenartig angedeuteten Laute sowohl einzeln als auch in Verbindung von Silben und Wörtern auszusprechen. Man kann sie auch Elementarmethode nennen, inwiefern sie von den wahren Elementen der Sprache, von den Lauten ausgeht.“
Nicht unähnlich fordert Hariolf Dreher heute in seiner Kybernetischen Methode (www.kybernetische-methode.de), Sprachlaute in Buchstaben umzukodieren. „Das Phonem, der Sprachlaut, wird also nicht über eine Hörassoziation erschlossen, sondern auch über die Anbindung an die Bewegung des Mundes: Phonem, Graphem und Artikulem bilden ein Dreibein, das dem Kind mit Lernschwierigkeiten einen festen Halt gibt.“ Mit dieser Methode konnten beachtliche Erfolge verbucht werden, leider nur in Einzelfällen und in Österreich. Eine breitere Einführung krankt an der Tatsache, dass die Methode noch jung ist und nicht eingeführt – womit sich die Katze in den Schwanz beißt.
Ist das Lesenlernen also schon schwierig genug, ist es damit ja leider noch nicht getan. Die Orthographie kam erschwerend im 18. Jahrhundert hinzu. In Deutschland stritten sich die Gelehrten zunächst, ob nach dem phonetischen oder nach dem etymologischen oder noch besser nach dem historischen Prinzip geschrieben werden sollte. Ein Streit, der wohl nicht ausgefochten wurde und wie wir heute wissen, immer wieder ausbrechen kann. Nur vorläufige Schlußstriche gibt es: Den ersten zog 1880 Minister von Puttkammer, als er die Orthographie erstmals für Preußen festschrieb. Seither mussten sich Schulkinder auch mit Diktaten plagen. Die Lehrverfahren waren die Diktiermethode, dann die Korrekturmethode schließlich die Einprägung ganzer Wortbilder und die Gleich- und die Andersschreibung von Aussprache und Schreiben ... Wer hier Fehler machte, wurde noch lange nicht als Legastheniker ausgemacht, wahrscheinlich nur als schwacher Deutschschüler.
Mittel zum Erfolg bei Legasthenie wollen heute viele Methoden liefern. Es wird mit Geräten gearbeitet, z.B. beim Warnke-Verfahren nach dem Kommunikationsberater Fred Warnke mit den MediTech-Geräten. MediTech-Geschäftsführer Ralph Warnke berichtet stolz vom wissenschaftlichen Durchbruch des Warnke-Verfahrens. 2002 sei in einer von Uwe Tewes, Medizinische Hochschule Hannover, begleiteten Studien-Triologie der wissenschaftliche Nachweis erbracht worden „für die deutliche Überlegenheit des Warnke-Verfahrens gegenüber herkömmlichen Verfahren.“ (www.forschung.meditech.de)
Andere ziehen Übungen vor wie die schon beschriebene Kybernetische Methode oder auch die Davismethode. Ronald D. Davis sieht „Legasthenie als Talentsignal“. Er führt eine lange Reihe berühmter Legastheniker auf, vor allem Amerikaner, darunter u.a. den Politiker Woodrow Wilson, den Wissenschaftler Albert Einstein, den Künstler Leonardo da Vinci und den Sänger Harry Belafonte. In Deutschland gelte es immer noch als ein wenig ‚beschämend’, Legastheniker zu sein, und deshalb hätten sich nur wenige berühmte Deutsche zu ihrer Legasthenie bekannt und Nichtlegastheniker scheuten sich, andere als Legastheniker zu bezeichnen als wäre es ein Makel.
Davis ist ein Betroffener, und er will von seinen Erfahrungen her anderen Betroffenen helfen. Bei ihm ist der Knackpunkt die Desorientierung: „Alle Symptome der Legasthenie sind Symptome der Desorientierung“. Lernprozesse nach Davis sollen dazu führen, die Desorientierung aufzulösen und die legasthenischen Symptome zu überwinden. Unterschiedlichste Verfahren sind entwickelt worden und sollen Legasthenikern helfen; an vielen Universitäten gibt es eigene Methoden.
Alphabetisierungskampagnen für Analphabeten
Ein Analphabet ist typischerweise kein Kind mehr. Der „funktionelle“ Analphabet hat eine traurige Schulkarriere hinter sich und seine Schreibleseschwäche vermutlich die ganze Zeit über gut vertuscht. Jeder 16. oder 6,3 Prozent der über 15jährigen in Deutschland liest und schreibt so schlecht, dass er Alltag und Beruf nicht richtig bewältigen kann. Hochgerechnet sind das 4 Millionen funktionelle Analphabeten.
Die Gründe für das Schreibleseunvermögen sind unterschiedlich. Der Bundesverband Alphabetisierung machte familiäre, schulische, individuelle und gesellschaftliche Faktoren aus. Massive Strafen bei Schulversagen werden ebenso angeführt wie mangelndes Selbstwertgefühl und zu wenig Unterstützung von Lehrern (www.alphabetisierung.de).
Das Problem ist erkannt. Am 8. September sprach Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) zum „Welttag der Alphabetisierung“; das Thema hätten Politik und Gesellschaft „über Jahrzehnte nicht zur Kenntnis genommen“. „Alphabetisierung ist ein Menschenrecht“, erinnerte der UN-Generalsekretär Kofi Annan. Den Zeitraum von 2003 bis 2012 hat die UNO zur Weltalphabetisierungsdekade erklärt. Der Direktor des UNESCO-Instituts für Pädagogik, Adama Ouane, stellte heraus, Bildung sei nicht als individuelle Fähigkeit zu betrachten, sondern als eine gesellschaftliche Angelegenheit. Das sah das Weltbildungsforum schon im Jahr 2000 in Dakar so. Damals setzte man sich das Ziel, bis 2015 die Analphabetenrate um die Hälfte zu reduzieren. Nach einem UNESCO-Bericht von 2002 werden 70 Staaten die Dakar-Ziele nicht erreichen, darunter mit Bangladesch, Indien, Pakistan und China vier der bevölkerungsreichsten der Erde. Auch die entwickelten Länder trifft das Problem. In den USA kann einer von fünf Amerikanern das Wort „America“ nicht lesen.
Hilfen? Davis bietet seine „Drei Schritte zum leichteren Lesen“ explizit auch Analphabeten an; die „einfachen Techniken wurden entwickelt, um Analphabeten zu befähigen, die grundlegendsten Geschicklichkeiten für leichtes Lesen zu erwerben“. Die drei Schritte sind erstens das „Buchstabier-Lesen“ um zu lernen, beim Lesen die Augen von links nach rechts zu bewegen und Buchstabengruppen als Wörter zu erkennen, zweitens das „Gleiten-Gleiten-Buchstabieren“ um die Links-rechts-Bewegung der Augen und das Wörtererkennen weiter zu trainieren und drittens das „Bild am Satzzeichen“ um das Gelesene zu verstehen (helfen soll es, jeweils beim Satzzeichen sich ein Bild vom zuvor Gelesenen zu machen).
Es gibt ganz spezielle Alphabetisierungskampagnen. Seit 1995 bietet das Alfa-Nottelefon des Bundesverbandes Alphabetisierung in Münster kostenlos Hilfe an (0251-533344); jeden Monat werde diese Nummer von über hundert Menschen gewählt. Sehr interessant ist ein Programm zum Führerscheinerwerb für Analphabeten mit guten Ergebnissen. Es gibt Fernsehspots, die Analphabeten die Scham nehmen wollen, sich zum Lesenlernen anzumelden. Die Professoren Gerd Iben und Dieter Katzenbach leiten ein von der BHF-Bank-Stiftung finanziertes Forschungsprojekt am Institut für Sonderpädagogik im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Goethe-Universität Frankurt am Main; es soll „benachteiligten Jugendlichen unter Einsatz der Neuen Medien den gezielten Zugang zur Schriftkultur ermöglichen“. Das Bundesbildungs- und –forschungsministerium fördert das Projekt Apoll, bei dem ein E-Learning Portal entwickelt wird.
Lese-Hilfe für Blinde, Legastheniker und alle anderen mit Leseschwächen in den USA
Bis jetzt haben wir Blinde, Legastheniker und Analphabeten verteilt, die Blinden auf die Blindensschulen, die Legastheniker zu ihren unterschiedlichen Methodenschulen und die Analphabeten zu ihren Alphabetisierungskampagnen. Ist das sinnvoll? Wäre es nicht viel besser, Blinden, Legasthenikern und Analphabeten etwas zu bieten, was ihnen allen hilft? Das Vorbild ist eine Organisation aus den Vereinigten Staaten von Amerika: Recording for the Blind & Dyslexic (RFB&D) Learning through Listening.
Die Organisation „Recording for the Blind“ gibt es seit 1948. Zunächst wurden Lehr-Hörbücher für Kriegsblinde produziert. Später erkannte man, dass alle Zugang zur gedruckten Welt haben sollten, und der Adressatenkreis wurde ausgeweitet auf Legastheniker und andere mit einer dokumentierten Leseschwäche; die Organisation heißt seither „Recording for the Blind & Dyslexic“. In den vergangenen 50 Jahren ist RFB&D enorm gewachsen. Heute gibt es 30 RFB&D-Tonstudios und eine Bibliothek mit mehr als 90.000 Titeln. Es sind nahezu ausschließlich Lehrbücher. Der Grundstock wurde gelegt von Schülern und Studenten, die ein bestimmtes Lehrbuch im Unterricht bzw. im Studium brauchten. Dieser Dienst wird immer noch angeboten; allerdings ist der Grundstock schon so groß, dass die Wünsche meist aus der Bibliothek erfüllt werden können. Außerdem wird das Angebot ständig aktualisiert.
RFB&D ist eine non-profit-Organisation, die vor allem von steuerlich abziehbaren Spenden lebt. Ganz passend zu diesem Ansatz wurden die Hörbücher von Anfang an von Freiwilligen gelesen.
Drei stolze Anwender, denen RFB&D geholfen hat:
• Vanessa Flatley, ein fröhliches Mädchen wurde nahezu depressiv, als es ins Leselernalter kam. Erst das RFB&D-Angebot von Lernmaterialien auf Diskette half ihm darüber hinweg, schenkte ihm Selbstvertrauen und machte es zu einer Leseratte.
• Sam Yuichi Ogami hatte eine Leseschwäche und konnte von klein an mit seinen Klassenkameraden nicht mithalten. Erst das RFB&D-Angebot von Lernmaterialien auf Diskette half ihm, dieses Manko zu bewältigen. Und Dank seines Erfolgs konnte er später die renommierte Stanford Universität besuchen.
• Joshua Schrager hatte eine Leseschwäche, die ihn nicht vorankommen ließ. Erst das RFB&D-Angebot von Lernmaterialien auf Diskette half ihm über die Runden und brachte ihn ganz weit nach oben. Er gründete 1986 eine Firma. Heute ist seine VoiceRite, Inc. in Miami, Florida, eine IBM-Partnerfirma mit einem internationalen Kundenstamm in über 30 Ländern.
Sicher kann dieses Beispiel nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden. Bei uns wäre es ja schon eine Hilfe, wenn wir die Selbstverständlichkeit übernehmen könnten, mit der bei RFB&D Blinde und Legastheniker bedacht werden. Viel gewonnen wäre auch, wenn man hier ohne Scham von seiner Leseschwäche reden könnte (jeweils dasselbe für Analphabeten wünschten wir uns dann noch dazu). Aber warum nicht mehr? Warum nicht auch hierzulande vergleichbare Hörbuch-Angebote machen? Die Ansätze sind da.
Die Hörbüchereien für Blinde, die auch produzieren, sind da. Auch eine Universitätsbücherei für blinde oder sehbehinderte Studenten gibt es an der FernUniversität Hagen. Und dann die Angebote der kommerziellen Hörbuchverlage. Auf Legastheniker in Schule und Ausbildung sind diese Angebote nicht ausgerichtet. Auch nicht auf „Analphabeten“. Noch nicht.
Mit dem neuen Urheberrecht ist ein großes Hindernis auf dem Weg zum Hörbuch für Legastheniker und Analphabeten entfallen. Verhandlungen von Blindenhörbüchereien, die auch Hörbuchproduzenten sind, mit der VG WORT, der Verwertungsgesellschaft, von der die Rechte erworben werden müssen, sind schon im Gange. Auch beim Frankfurter Institut für Sonderpädagogik, wo man sich mit Alphabetisierung befasst, zeigt man schon ein gewisses Interesse.
Der Ansatz, mit Freiwilligen zu arbeiten, kann oder besser muß und wird angesichts der leeren öffentlichen Kassen auch in Deutschland immer mehr Anhänger finden. In Bayern fand am 24. Oktober der 1. Tag der Freiwilligen statt. Bayernweit ist nach den Worten der zuständigen Ministerin Christa Stewens fast ein Drittel der Bevölkerung freiwillig engagiert; rund 3,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger leisten die etwa 75 Millionen Stunden monatlich ab.
Und ehrenamtliches „Vorlesen“ vor anwesendem Publikum ist eine Aktion, die in diesem Jahr mit großer Aufmerksamkeit unter der Schirmherrschaft von Doris-Schröder-Köpf begonnen hat; Vorlesen am Mikrofon für ein lernwilliges Publikum andernorts dürfte dann auch eine lösbare Aufgabe sein.
Mit der Probe aufs Exempel beginnt jetzt eine Internetseite. „Anders lesen und lernen“ will die Ansätze sammeln, seine Vertreter zusammenführen und ... zum anders lesen und lernen verführen.
(www.anderslesenundlernen.de)
Margita Gürtler